Mit markigen Claims, gutem Timing und dem richtigen Hintergrund lassen sich rollende Luxusartikel auch heute noch gut verkaufen.
In der gegenwärtigen Nachrichtenflut wird die sprichwörtliche Sau mit derart hohem Tempo durch das ebenfalls sprichwörtliche Dorf getrieben, dass nicht nur Tierliebhabern angst und bange wird ob drohender Überlastung des geschundenen Tieres. Inmitten des nie versiegenden PR-Stroms ein Signal zu setzen erfordert mehr als je zuvor exakte zielgruppengerechte Planung, eine Erfolgsgarantie gibt es dennoch nicht. An den Grundprinzipien der Aufmerksamkeitsökonomie hat sich nichts geändert seit den Erkenntnissen des Sigmund Freud-Neffen Edward Barnays, die er vor fast 100 Jahren in seinem bahnbrechenden Buch „Propaganda“ zusammengefasst hat. Nur schneller ist alles geworden, und damit flüchtiger. Um hier bestehen zu können, bedarf es eines gerüttelten Maßes an Übertreibung und großer Sprüche, auch wenn dies zur eigentlichen Botschaft gar nicht passt.
Zahme Raubkatze
Nun aber zur Aufgabenstellung: die Automobilmarke Jaguar ist den meisten Menschen ein Begriff, wiewohl nur wenige ein solches Gefährt je ihr eigen genannt haben. Jaguar zählt somit zum kollektiven Gedächtnis der westlichen Konsumkultur, besitzt nahezu ikonischen Charakter. Das liegt nicht nur am hohen Preis der Gefährte und verwegen gezeichneten Sportwagen wie dem Typ E aus den 1960er Jahren mit seiner nicht enden wollenden Motorhaube, sondern auch an der Britishness, die der Marke aus der Vergangenheit noch anhaftet. Jener Mischung aus Tradition und Moderne, aus Verschrobenheit und Zeitlosigkeit, die das Vereinigte Königreich jahrzehntelang ausgemacht hat.
Viel mehr als Eklektik ist davon nicht mehr übrig. Die stilprägende Popkultur hat längst nicht mehr den Stellenwert des letzten Jahrhunderts, die einstmals stolze Automobilindustrie ist weitgehend verschwunden, deren Markenrechte an Konkurrenzunternehmen verkauft. So zählte die Marke Jaguar seit 1998 zum US-Konzern Ford, der sie wiederum zehn Jahre später an das indische Unternehmen Tata Motors verkauft hat. Zwar findet die Produktion nach wie vor in England statt, die Britishness aber ist weitgehend Geschichte.
Agent 00
Nun hat sich kaum ein Wirtschaftszweig ähnlich stark verändert wie die Automobilindustrie. Teils wegen negativer Auswirkungen der Erzeugnisse auf Umwelt und Gesellschaft, teils wegen des Einzugs vernetzter Computertechnik, der große Teile der Wertschöpfung zu IT-Firmen hin verschiebt. Für eine traditionsbewusste Marke wie Jaguar schwieriges Terrain, zumal die künftige Modellpalette nur noch mit Elektroantrieb ausgestattet sein soll, was längst nicht jedem Aficionado gefällt. Vor diesem Hintergrund soll nun also eine Neuorientierung erfolgen, die Markengeschichte und Zukunftsfantasie verbindet.
Als Endergebnis stand eine Kampagne, die viel Aufsehen erregt hat, ohne Überraschendes zu bieten. Ein zehnsekündiger Clip, in dem kein Fahrzeug zu sehen ist, sondern eine Gruppe von divers anmutenden Menschen in retrofuturistischem Ambiente, das einem Science Fiction-Film aus den 1970er Jahren entstammen könnte. Dazu ein paar wenig einfallsreiche Claims und Buzzwords wie „Copy nothing“, „Fearless“ oder „Compelling“, die wohl die „disruptive“ Qualität der Neuordnung betonen soll. Alles so glatt und zielgruppengerecht, dass sich der Verdacht aufdrängt, generative KI-Software könnte die Kampagne entworfen haben.
Kunst und Kommerz
Mit der proklamierten Disruption ist es so eine Sache. Im Big-Tech-Umfeld wird sie gerne bemüht, um einen Umbruch grundsätzlich als Fortschritt zu deuten. Aber bei einem Automobil? Vorgestellt hat Jaguar die Kampagne auf der Miami Art Week gemeinsam mit High Snobiety, den Berliner Experten für teuren Hipster-Lifestyle. Kunstveranstaltungen umgibt nach wie vor eine Aura des Erhabenen und Luxuriösen, obschon Marcel Duchamp, Andy Warhol und Banksy seit Jahrzehnten an diesem Klischee rütteln. An einem Promi-Hotspot wie Miami darf neben mehr oder weniger fachkundigem Publikum mit der Anwesenheit zahlreicher illustrer Persönlichkeiten aus der Mode-, Musik- und Filmbranche gerechnet werden, von professionellen Influencern ganz zu schweigen. Die Stardichte ist also hoch, und vermutlich dürfte sich darunter auch die neue Zielgruppe für Jaguar verbergen.
Ansonsten hatte die Kampagne wenig zu bieten, was ansatzweise in Richtung Disruption gehen könnte. Genausowenig wie das ausgestellte Jaguar-Modell mit der seltsamen Bezeichnung „00“, das im Grunde eine Neuinterpretation des Typ E ist und stilistisch bei den windschnittigen Mobilen der 1920er Jahre anknüpft. Nur halt mit zeitgemäß deutlich aggressiverem Erscheinungsbild und viel Elektronik. Ob dies einen Fortschritt darstellt, möge jeder für sich beurteilen.
Foto: jaguar.com
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Quelle: Messe & Event Magazin
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